exposing the dark side of adoption
Register Log in

Ein Ehepaar und 34 Kinder

public

Grossfamilie
Ein Ehepaar und 34 Kinder
Von Wolfgang Rau, 08.08.08, 08:41h
Die Familie von Elisabeth und Mike Stenmans benötigt allein 50 Zimmer. Die Tochter eines Fabrikanten holte missbrauchte Kinder aus Brasilien, Äthiopien, Sri Lanka und Rumänien nach Deutschland.


Mit einem großen Fest und rund 200 Gästen wurde am 7. Juni der juristische Erfolg vor dem Oberlandesgericht Köln am Pfarrgemeindehaus in Kreuzweingarten gefeiert. (Repro: Bühl)


Mit einem großen Fest und rund 200 Gästen wurde am 7. Juni der juristische Erfolg vor dem Oberlandesgericht Köln am Pfarrgemeindehaus in Kreuzweingarten gefeiert. (Repro: Bühl)


Irgendwas Kreatives wie Basteln oder Malen steht immer auf dem Programm. Hier betätigen sich Noel (16), Magdalena (11), die bereits 20-jährige Sozialassistentin Liseron, Jonas Maximillian (11) und die 17-jährige Claire (v.l.) künstlerisch. Liseron stammt aus Sri Lanka, die anderen vier sind in Äthiopien geboren. (Repro: Bühl)


Elisabeth Stenmans ist stolz auf die Kunstwerke, die ihre Kinder geschaffen haben und die überall im Haus zu finden sind. (Bild: Bühl)


EUSKIRCHEN-KREUZWEINGARTEN - Wer fünf, sechs oder gar sieben Kinder hat, gilt als kinderreich und kann sich auch als Großfamilie bezeichnen. Was aber sagt man, wenn ein Ehepaar behauptet, mehr als 30 Kinder zu haben? Gibt's nicht, kann nicht sein, dürfte die erste Reaktion sein. Gibt's aber doch: Die Familie Stenmans in Kreuzweingarten hat 34 Kinder, und entgegen allen Erwartungen geht es weder drunter noch drüber, noch nagt die Familie am Hungertuch. Die Bandbreite reicht von kleinen Kindern bis zu Erwachsenen, neun der Stenmans-Kinder sind bereits ausgebildete Pädagogen und helfen mit, die organisatorische und erzieherische Herausforderung zu meistern.
Im Zentrum der aus mehreren Häusern bestehenden Stenmans-Siedlung hält Elisabeth Stenmans die Zügel in Händen, assistiert von ihrem Ehemann Mike. Die vor Energie und Lebenslust sprühende 58-Jährige ist examinierte Lehrerin, Psychologin, Erziehungswissenschaftlerin und hat eine Approbation als Kinder- und Jugendtherapeutin. „Lernen ist Lust, wissenschaftliches Arbeiten macht Freude“, sagt sie, und die vielen Kinder, die sie meist aus schlimmsten Verhältnissen in der Dritten Welt herausgeholt und adoptiert hat, sind ihr Lebenshinhalt geworden.
Zwei eigene Kinder
Angefangen hatte alles 1962 während einer Kreuzfahrt rund um Afrika. Die Tochter wohlhabender Düsseldorfer Fabrikanten sah bei den Landgängen das Elend der Kinder in den afrikanischen Städten. Kinder mit Augenkrankheiten, Hungerbäuchen, Missbildungen. Das schlug ihr so auf den Magen, dass sie während des Kapitänsdinners das Essen verweigerte. Später engagierte sie sich in Hilfsorganisationen wie „Misereor“ oder „Brot für die Welt“ und kam immer mehr zu der Überzeugung: „Wenn ich einmal groß bin, will ich mich für mehr Gerechtigkeit besonders für Kinder einsetzen.“
Als Erwachsene bekam Elisabeth Stenmans selbst ein Kind, dann wurden zwei angenommen, es folgte ein weiteres leibliches Kind. Von da an ging es kontinuierlich weiter. Straßenkinder, missbraucht, verwahrlost, geistig und körperlich behindert, wurden aus Brasilien, Äthiopien, Sri Lanka oder Rumänien nach Deutschland geholt und adoptiert. Fast immer hat die überzeugte Christin mit Kirchen und Hilfsorganisationen zusammengearbeitet, fast immer waren es Kinder, deren Eltern sie aufgegeben hatten, deren Vermittlung an Pflegefamilien im eigenen Land gescheitert war.
Die meisten Kinder waren hochgradig traumatisiert und bedurften dringend der Fachkenntnisse Elisabeth Stenmans', die sich ihrerseits der Unterstützung zahlreicher Therapeuten und Ärzte erfreuen konnte. Nur für vier deutschstämmige Kinder beziehen die Stenmans Pflegegeld, der Rest wird aus dem Vermögen der Fabrikantentochter und dem Erlös ihrer Vorträge und Fachseminare in aller Welt bestritten.
Seit 1981 wohnen Stenmans in Kreuzweingarten, die Familie ist in 50 Zimmern in mehreren Häusern untergebracht. Fast alle der weit über 20 Kinder, die noch im Familienverbund leben, besuchen die normalen Schulen in der Umgebung und werden darüber hinaus täglich mit den „drei Säulen der Erziehung“ konfrontiert: Kunst, Bücher, Natur. Seit 15 Jahren unterstützt Ehemann Mike das „Großunternehmen“, für die gesamte Logistik stehen ein Kleinbus und vier Pkw zur Verfügung. Um den Großteil der Hauswirtschaft kümmern sich Angestellte. Was an Therapie und Pädagogik zu leisten ist, wird oft durch die erwachsenen, fachkundigen Kinder bewältigt.
Jeden Tag wird irgendetwas angeboten, was unter die Rubriken Kreativität, Sport oder Natur einzuordnen ist. Ebenso durften die Kinder wählen, was sie in den Sommerferien machen wollten. Eine Gruppe war ein paar Tage in Amsterdam, die Älteren durften ins Maritim nach Berlin, andere wieder besuchten das Technikmuseum in Speyer, wieder andere reisten in die Jugendherberge nach Oostende. Wenn man Elisabeth Stenmans erzählen hört, ist irgendein Trupp immer „op Jöck“.
Auch wenn sie zu Vorträgen oder Projekten in der ganzen Welt unterwegs ist, sind immer einige Kinder mit von der Partie. Betrachtet man die Mappe mit den Urlaubs- und Reisebildern, kommt man aus dem Staunen nicht mehr heraus. Sämtliche Erdteile sind vertreten, Stenmans scheinen allgegenwärtig zu sein. Das gilt natürlich auch für die Kirche: Zum „Clan“ gehören 20 Messdiener. Wenn der Pfarrer in Kreuzweingarten nicht über genügend „Bodenpersonal“ verfügt, kann er immer auf die Reservemannschaft Stenmans zurückgreifen.
Mühlen der Bürokratie
Schwer getrübt wurde das Glück der Familie vor vier Jahren, als sie ins Visier des Jugendamtes und des Familiengerichts geriet. Jahre zuvor hatten Stenmans vier äthiopische Frauen aufgenommen, die ohne Visum eingereist und zum Teil auch mit Stenmans-Kindern verwandt waren. Irgendwann, so Elisabeth Stenmans, sollten die Frauen abgeschoben werden. Allerdings sei ihnen zugetragen worden, sie könnten sich ein Bleiberecht erstreiten, wenn sie als Opfer oder Zeugen von Misshandlungen auftreten würden. So hieß es dann bald, die Frauen seien schlecht behandelt worden und auch das Wohl der Kinder sei gefährdet.
Stenmans gerieten in die Mühlen der Bürokratie, jede Menge Gerichtsgutachten wurden erstellt, Kinder sollten aus dem Familienverband herausgenommen und in Heime gesteckt werden. „Mehr als vier Jahre dauerte dieser Horror, die Kinder hatten Albträume aus Furcht, weg zu müssen“, erinnert sich Elisabeth Stenmans. Erst im April 2008 beendete das Oberlandesgericht Köln das furchtbare Theater. Elisabeth Stenmans und ihrem Team wurde höchste Erziehungskompetenz bescheinigt, alle Kinder durften in der Familie bleiben.
Der Prozesssieg wurde am 7. Juni im großen Stil öffentlich im Pfarrgemeindehaus mit rund 200 Gästen gefeiert. Ein Wermutstropfen bleibt: Der jahrelange Rechtsstreit hat rund 100 000 Euro verschlungen. Das waren die Rücklagen, mit denen man eigentlich einen neuen Bus und eine neue Heizung anschaffen wollte. Auch der Traum von einem kleinen Schwimmbad muss verschoben werden.

2008 Aug 8