Streit um Adoptionsfall
Im Gespräch
Streit um Adoptionsfall
Ein kleines Mädchen als Opfer kanarischer Bürokratie
Der tragische Fall der kleinen Piedad ist der eines kleinen Mädchens, auf das zwei Mütter Ansprüche gestellt haben – eine leibliche Mutter und eine Adoptivmutter. Soledad Perera aus La Orotava, die als Pflegemutter zweieinhalb Jahren für die Kleine gesorgt hat, droht nun eine Gefängnisstrafe von neun Monaten. Sie sei einer gerichtlichen Weisung, die sie dazu aufforderte, das Kind zurück zu geben, nicht gefolgt, so die Anklage. Wir konnten mit der verzweifelten Soledad und ihrem Anwalt, Eligio Hernández, sprechen, um zu erfahren, wie es im Streit um ein Kind so weit kommen konnte.
Branchen-Infos
Steuerberater
A bis Z consulting s.l.
Teneriffa
Steuerberater
17.04.2009 - Soledad ist Mutter von drei Kindern, darunter auch Adoptivkinder. Sie entschied sich, ein weiteres Kind zu adoptieren und so kam die dreijjährige Piedad (deren richtiger Name zu ihrem Schutz anonym bleibt) in ihre Obhut. Piedad hatte einen Großteil ihres jungen Lebens in Kinderheimen verbracht. 2005 nahm Soledad das Mädchen in Pflege, eine Adoption wurde vorbereitet, ein entsprechender Vorvertrag abgeschlossen. Soledad erinnert sich an die ersten Tage mit ihrer neuen Pflegetochter: „Sie war traurig, dass sie alle zurück lassen musste, die sie kannte, aber sie war stolz, dass ihre neue Mutter und ihre Schwester kamen, um sie abzuholen. Sie freute sich darauf, eine Familie zu haben.“ Wäre die Bürokratie, die hinter einer Adoption auf den Kanaren steht, weniger aufwendig, so hätte die Adoption schnell abgewickelt werden und es wäre vermutlich nie zu einem Sorgerechtsstreit gekommen.
Doch noch bevor die kleine Piedad offiziell adoptiert war, erhob ihre leibliche Mutter Einspruch. Sie wollte ihr Kind zurück. Eine Entscheidung, die Soledads Familie wie ein Blitzschlag traf. Piedad war für ihre Pflegemutter wie ein eigenes Kind geworden. „Sie war voll und ganz in unserer Familie integriert, sie war glücklich bei uns.“ Soledad erhielt eine sehr widersprüchliche Weisung des Gerichts. Darin hieß es einerseits, dass das Kind an die leibliche Mutter zurück gegeben werden müsse, andererseits wurde angewiesen, dass Piedad den Behörden übergeben werde solle. Soledad wandte sich zunächst an die Jugenschutzbehörde und wollte wissen, ob sie ihnen das Kind bringen solle. Diese wussten allerdings nichts von dem Fall. Außerdem gebe es keinen Platz, um das Kind unterzubringen, hieß es. Dazu kam, dass Soledad im Vorvertrag zur Adoption unterschrieben hatte, dass sie sich um das Kind kümmern müsse und es an niemand anderen übergeben dürfe, sonst drohe ihr eine Gefängnisstrafe.
Am 10. Mai 2007 wurde Piedad gegen den Willen ihrer Pflegefamilie von der Zivilpolizei (Guardia Civil) abgeholt. Zu diesem Zeitpunkt befand sich das Kind im Krankenhaus, nachdem es einen epileptischen Anfall erlitten hatte.
Nachdem das Kind abgeholt war, erhielt die Pflegefamilie keinerlei offizielle Information von den Behörden, was mit Piedad geschehen würde. Ihre Anfragen wurden ignoriert; ihre Ansuchen, das Kind besuchen zu dürfen, ebenfalls. „Unsere Ansuchen wurden nicht abgelehnt, man hat uns einfach nicht darauf geantwortet“, erinnert sich Soledad traurig. Später wurde sie vor Gericht gestellt. Sie habe sich der gerichtlichen Weisung widersetzt, das Kind den Behörden zu übergeben, lautete die Anklage. Soledad wurde dazu geraten, sich schuldig zu bekennen, obwohl die Anweisungen, die sie nicht befolgt hatte, widersprüchlich waren, was sie auch tat. Eine Strafe von acht Monaten auf Bewährung wurde über sie verhängt.
Soledad wurde noch ein zweites Mal wegen desselben Vergehens angeklagt und verurteilt, was laut ihrem Anwalt an sich widerrechtlich war, da man nach spanischem Recht nicht zweimal für das gleiche Delikt verurteilt werden kann. Dieses Mal verhängte das Gericht eine unbedingte Haftstrafe von neun Monaten Gefängnis über Soledad. „Dafür“, wie ihr Anwalt Eligio formuliert, „dass sie ihre Tochter verteidigt hat.“
Die Spanische Kinderrechtsvereinigung Prodeni äußerte sich kritisch über das Urteil. Es wäre fast unter ausschließlicher Berücksichtigung der Rechte der leiblichen Mutter gefällt worden, während man die Rechte des Kindes außer acht gelassen hätte. Laut Soledad wurden Gutachten von Psychologen und Kinderpsychologen, die im Vorfeld des Verfahrens erstellt wurden, nicht zur Urteilsfindung herangezogen. Piedad selbst wurde gar nicht nach ihrer Meinung oder ihren Bedürfnissen befragt.
Das Kind wurde wieder in Pflege gegeben, dann kam es zu seiner leiblichen Mutter zurück, wo es fast ein Jahr lang blieb. Im Oktober 2008 kam Piedad erneut in Pflege. „Vorrübergehend“, wie es hieß, da die Mutter Probleme habe, sich um ihre Tochter zu kümmern. Zunächst wurde damit argumentiert, dass sie keine Unterkunft mehr habe. Im Dezember zog sie in eine neue Wohnung und hatte auch wieder einen Job. Im Januar sollte sie ihr Kind wieder zu sich nehmen. Kurz davor bat sie allerdings darum, Piedad weiter in der Obhut der Behörden lassen zu dürfen. In Interviews mit der lokalen Presse bezeichnete sie ihre Tochter als Ausreißerin, der man Manieren beibringen müsse. Das Heim, in dem sich Piedad befand, bezeichnete sie als Internat.
Wieder wird nach einer Pflegefamilie für die mittlerweile Siebenjährige gesucht. Soledad zeigt sich erschüttert vom Schicksal des Mädchens, dass sie zweieinhalb Jahre lang wie ihr eigenes Kind behandelt hatte. „Im Herzen waren wir immer bei ihr. Die größte Strafe für uns ist es, sie leiden zu sehen.“ Das Kind werde hin und her geschubst, ständig hätte es neue Bezugspersonen, nie ein richtiges Zuhause, so die Sorge ihrer ehemaligen Pflegemutter, die eigentlich ihre gesetzliche Mutter hätte werden sollen. Piedad ist erst sieben Jahre alt und in ihre kurzen Leben hat sie schon in vier unterschiedlichen Kinderheimen gelebt. Für zwei kurze Zeitintervalle war sie bei ihrer leiblichen Mutter. Stabilität hat das Kind nur während der zweieinhalb Jahre bei Soledad und ihrer Familie erfahren.
In ihrer Verzweiflung und Sorge um das Kind hat Soledad Perera sich schließlich an die Öffentlichkeit gewandt. In der Folge wurde sie dafür kritisiert, sich als Protagonist eines Medienspektakels zu positionieren. Soledad sah es als einziges Mittel, um sich Gehör zu verschaffen. Ihrem Anwalt, Eligio Hernández, wurde vorgeworfen, aus dem tragischen Schicksal der Betroffenen Profit zu schlagen und sich auf Kosten des Kindes zu bereichern. Was seine Kritiker offenbar nicht wussten, ist, dass Sodedads Anwalt bisher nicht mehr als 1.000 Euro Spesen berechnet hat – für die Reisekosten zum Gericht auf Las Palmas. Mittlerweile haben sich nicht nur Kritiker zu Wort gemeldet, sondern auch viele Menschen, die Soledad ihre moralisch Unterstützung angeboten haben.
In der Zwischenzeit wurde der Vorvertrag zur Adoption von Piedad annuliert. Darüber wurde Soledads Familie allerdings nicht einmal informiert. Sie hatte keine Möglichkeit, Einspruch dagegen einzulegen. Soledad ist fest entschlossen, weiter zu kämpfen. „Wir haben ihr ein Leben voll Liebe und Sicherheit versprochen.“ Anwalt Eligio Hernández wird sie dabei unterstützen. Der frühere Staatsanwalt und Richter übernimmt nur mehr selten Straffälle. Die Ungerechtigkeit, die Soledad widerfahren war, berührte ihn persönlich, weshalb er entschloss, ihre Verteidigung zu übernehmen. „Es ist eine ungeheuerliche Ungerechtigkeit, dass jemand dafür ins Gefängnis soll, weil er für ein Kind kämpft, dass er als sein eigenes betrachtet.“ Die vergangenen Gerichtsverhandlungen, bei denen seine Mandantin als Angeklagte vor dem Richter stand, bezeichnet er als „die größte Anhäufung von Verwaltungsfehlern und rechtlichen Fehlentscheidungen, die ich in meiner 40-jährigen Karriere als Staatsanwalt, Anwalt und Richter gesehen habe.“
Eligio wehrt sich in dem Fall nicht nur gegen die Verletzung der Rechte von Kind und Adoptivmutter; er sieht auch das Ansehen des spanischen Rechtssystems durch das Urteil gefährdet. „Es ist eine Herausforderung und für mich als Strafverteidiger meine Pflicht, dafür zu sorgen, dass Soledad freigesprochen wird.“ Als es zum zweiten Gerichtsfall gegen Soldedad gekommen sei, habe die Richterin ihre Voreingenommenheit nicht einmal versteckt. Noch vor ihrer Anhörung hatte sie die Angeklagte als arrogant und selbstherrlich bezeichnet. Eligio hatte den Eindruck, dass das Urteil schon gefällt war, bevor die Verhandlung begonnen hatte. Dennoch versuchte er sein Bestes, das Gericht für seine Sicht der Dinge zu gewinnen. Als einer von vielen Verwaltungsfehler führte er auf, dass der Fall in die Zuständigkeit des Gerichts von La Orotava gehörte und nicht, wie es der Fall war, in Las Palmas vor Gericht hätte gehen dürfen. Weiters erklärte er dem Richter, dass man nach spanischem Recht nicht zweimal für dasselbe Vergehen verurteilt werden kann. Und als dritten Punkt führte Eligio an, dass eine klar formulierte, offizielle Weisung vorliegen hätte müssen, die seine Mandantin hätte befolgen können. Da dies nicht der Fall gewesen sei, habe sich Soledad nicht falsch verhalten. Denn egal, wie sie gehandelt hätte, sie sei auf jeden Fall in Konflikt mit dem Gesetz geraten.
Eligio kritisiert auch, dass ihn die Richterin dazu angehalten habe, etwas schneller zu machen, damit der Fall abgeschlossen werden könne, da sie noch einen weiteren Fall zu verhandeln hätte. Ein Vorgehen, dass nach spanischem Recht nicht zulässig ist, es sei denn, der Anwalt schweift bei seinen Ausführung vom Fall ab. Außerdem bemängelt er, dass der Fall hinter verschlossenen Türen und unter Ausschluss der Öffentlichkeit verhandelt worden wäre, ohne dass dies vorher angekündigt worden wäre. Auch das verstoße laut Eligio gegen das Gesetz, da eine öffentliche Anhörung ein grundlegendes Bürgerrecht sei. Nach seiner Auffassung war die Verhandlung deshalb ungültig.
Soledad und ihr Anwalt haben es gänzlich unterlassen, die leibliche Mutter von Piedad zu kritisieren. Umgekehrt erbitten auch sie sich Respekt vor „der Mutter, die sich als geeignete Adoptivmutter für dieses Kind erwiesen hat.“ Soledad fordert den Gesetzgeber, allen voran die Abteilung für Kinder- und Jugendschutz auf, an Fälle mit mehr „Kompetenz und Menschlichkeit“ heranzugehen. Ihr Anwalt geht so weit, die Verwaltung und die Justiz der Kanaren als „inkompetent“ zu bezeichnen. „Es wurden so viele Fehler gemacht. Das Kind wurde vernachlässigt und abgeschoben, fand dann glücklicherweise ein liebendes Zuhause, aus es dem allerdings wieder gerissen wurde und jetzt ist wieder offiziell als „abgeschoben“ registriert.“ Eligio verlangt einen Parlamentsausschuss, der den Fall Piedad genau untersuchen soll. Diejenigen, die in dem Fall verantwortlich gezeichnet haben, sollen seiner Ansicht nach dafür gerade stehen müssen. Er rechnet damit, dass es danach zu einer Gesetzesänderung kommen wird. „Das ist ein wichtiges Thema. Es gibt viele Mütter, die Kinder adoptieren oder darauf warten, ein Kind adoptieren zu können und es gibt sehr viele Kinder, die auf eine Adoption warten. Die Rechte des Kindes sollen künftig im Mittelpunkt solcher Fälle stehen. „
Gegen Soledads Verurteilung zu neun Monaten Gefängnis hat ihr Anwalt Einspruch erhoben, nun geht es in die nächst höhere gerichtliche Instanz. Am 28. März gingen in Puerto de la Cruz und in Las Palmas de Gran Canaria Hunderte von Menschen für Soledad auf die Straße. Sie forderten Staat und Justiz in einer Kundgebung auf, Soledad frei zu sprechen und das Gesetz so zu ändern, dass die Rechte von Kindern in ähnlicher Lage künftig nicht mehr auf der Strecke bleiben.
von Sheila Collis/Übersetzung: Margot Aigner
Diese Seite drucken