exposing the dark side of adoption
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Adoptionsskandal um äthiopische Kinder: Zwei äthiopische Kinder Mütter klagen an

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Bei unzähligen in Äthiopien adoptierten Kindern ist unklar, ob sie wirklich Waisen sind. Zwei davon sind es sicher nicht. Die Dokumentation einer Vielzahl mensch­licher Tragödien – und eines beispiellosen Versagens der österrei­chischen Behörden.

Erst als ihr zweiter Sohn zur Tür her­einkommt, hellt sich Alemitu Aseffas Gesicht wieder auf. Die junge Äthiopierin nimmt das Kleinkind auf den Schoß, hält seine Beinchen fest und drückt es an sich. Bis dahin hat sie nur über ihren älteren Sohn gesprochen. Sie würde ihn so gern in den Arm nehmen – wie es ihr damals versprochen wurde, als sie ihn in einer familiären Notsituation weggegeben hatte. Nach drei Jahren sollte er zurückkommen. Doch dieser Sohn wurde vor mehr als vier Jahren als vermeintliches Waisenkind von Österreichern adoptiert. Der kleine Max weiß von alledem nichts. Er steckte noch in den Windeln, als er nach Österreich kam. „Ich wäre dankbar, wenn ich erst sterben würde, nachdem ich ihn persönlich gesehen und umarmt habe“, sagt die Äthiopierin per Videobotschaft und ringt mit den Tränen.

Der Fall Aseffa ist nicht der erste dieser Art. Bereits vor zwei Jahren wurde bekannt, dass die Adoptionspapiere von Hanna, einer vermeintlichen äthiopischen Waise, gefälscht worden waren. Damals sprachen die österreichischen Behörden von einem „Einzelfall“. Eine reichlich kühne Einschätzung: profil liegen nunmehr Aussagen zweier Äthiopierinnen vor, deren leibliche Kinder in Österreich sind. Beide Frauen sprechen von Barzahlungen für die Kinder und von unerfüllten Versprechungen, die Kinder wiederzusehen. Obwohl sich die Mütter nicht kannten, ähneln sich ihre Geschichten so sehr, dass sich die Frage aufdrängt, ob System dahintersteckt. Es ist nicht auszuschließen, dass noch weitere Familien betroffen sind.

Sowohl Max als auch Hanna wurden mithilfe des österreichischen Vereins Family for you (FFY) adoptiert. Bis zur Niederlegung seiner Tätigkeit im vergangenen Jahr war FFY der größte private Auslandsadoptionsverein in Österreich. Mit einer Lizenz der Stadt Wien unterstützte er Privatfamilien bei den Behördengängen, die im Ausland für eine Adoption notwendig sind, und bereitete die Eltern auf die neue Familiensituation vor. In den sieben Jahren seiner Tätigkeit brachte FFY knapp 400 Kinder nach Österreich, rund 70 Kinder davon stammen aus Äthiopien.

Deribe Nesibu, der äthiopische Mitarbeiter von FFY, hat gegenüber den Behörden in Addis Abeba inzwischen gestanden, die Papiere von Hanna gefälscht zu haben. Er wurde verhaftet und auf Kaution freigelassen. Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Wien laufen noch. Zudem läuft ­gegen FFY ein Schadenersatzprozess – die Adoptiveltern von Hanna fordern die Adoptionskosten zurück. Als die Vorwürfe bekannt wurden, legte FFY vor einem Jahr die Tätigkeit nieder, jetzt geht dem Verein auch finanziell die Luft aus: Er ist insolvent.

Grauzone Auslandsadoption. Offizielle Zahlen, wie viele Auslandsadoptionen in ­Österreich im Jahr durchgeführt werden, gibt es nicht. Das Justizministerium schätzt sie auf 250. Zuständig sind die jeweiligen Ämter der Landesregierung, die den Eltern Pflegebewilligungen erteilen. Mit dieser Bestätigung kann jede Privatperson im Ausland Kinder adoptieren und sie mit nach ­Österreich bringen. Es gibt weder eine ­zentrale Anlaufstelle für Adoptionswillige, noch gibt es eine einheitliche Kontrolle – es gibt noch nicht einmal einheitliche Richt­linien, wie eine Auslandsadoption in Österreich durchzuführen ist. Angesichts dieses Vakuums verwundert es nicht sehr, dass Fälle wie die von Max und Hanna passieren können. Eine der beiden Frauen, die jetzt im Interview auspacken, ist die Mutter von Hanna. Das Mädchen hatte in Österreich bereits für Schlagzeilen gesorgt, als bekannt wurde, dass seine Adoption gerichtlich aufgelöst wurde – weil sie aufgrund gefälschter Papiere zustande gekommen war. In den Dokumenten war Hanna als Vierjährige ausgegeben worden, obwohl sie zum Adoptionszeitpunkt bereits neun Jahre alt war. Sie war gemeinsam mit Max, der laut den Papieren ihr leiblicher Bruder sein sollte, in die gleiche Familie nach Österreich gekommen. Doch auch das entsprach nicht der Wahrheit. Aufgeflogen war die Geschichte, weil Hanna – im Gegensatz zu vielen anderen Kindern – nicht als Baby adoptiert worden war und sich deswegen an ihre Mutter erinnern konnte. Hanna machte die Adoptiveltern für ihr Schicksal verantwortlich und wurde zunehmend verhaltensauffällig. Heute lebt sie, abgeschirmt von der Öffentlichkeit, unter der Obhut der Bezirkshauptmannschaft Neunkirchen in einem Kinderheim.

Dass nicht nur Hanna den unlauteren Machenschaften des äthiopischen Vertreters von FFY zum Opfer gefallen war, flog auf, als die mittlerweile 14-Jährige im vergangenen Herbst in Äthiopien ihre Mutter besuchte. Es gab ein herzliches Willkommensfest mit der Familie, doch trotzdem entschied das Kind, in Österreich seine Ausbildung zu beenden, und kehrte zurück in das Kinderheim. Der Besuch war nicht nur für Hanna ein Einschnitt. Er hatte auch für Max weit reichende Konsequenzen. Die äthiopischen Behörden hatten Alemitu Aseffa, die Mutter von Max, und Genet Rashid, die Mutter von Hanna, miteinander bekannt gemacht, nachdem beide auf der Suche nach ihren Kindern bei ihnen gelandet waren. Durch ihre eigenen Nachforschungen wusste Alemitu Aseffa, dass auch Max in Österreich ist. Als Genet Rashid ihr vom offiziellen Besuch ihrer Tochter erzählte, witterte Aseffa die Möglichkeit, vorstellig zu werden. „Ich habe ihnen ein Foto meines Sohnes gezeigt. Sie konnten es mir nicht glauben, als ich ihnen erzählt habe, dass ich seine leibliche Mutter bin“, sagt sie im Interview.

Die Sozialarbeiterin Michaela Schneidhofer hatte Max auf dem Foto erkannt, schließlich war er der vermeintliche Bruder von Hanna. „Wir haben die Information an die Familie und an die Staatsanwaltschaft weitergegeben“, sagt Schneidhofer. Und dort endet die Spur. Die für die Kontrolle des Vereins zuständige Magistratsabteilung in Wien erfuhr noch nicht einmal von dem Vorfall. Auf den Vorschlag von profil, ihr den zweiten Fall zu schildern, reagierte Abteilungsleiterin Martina Reichl-Roßbacher nicht. FFY sei nicht mehr tätig, insofern sei auch ihre Zuständigkeit beendet, lässt sie ausrichten. Auch Max weiß noch nichts von seiner leiblichen Mutter. Die Entscheidung, ob er Kontakt zu ihr haben und ob er weiterhin in Österreich leben wird, liegt bei der Adoptivfamilie. „Soweit wir informiert sind, möchten die Eltern die Adoption nicht aufheben“, so Schneidhofer. Es dürfte ein schwerer Schlag für die Familie sein, zu wissen, dass auch ihr zweites Kind mit gefälschten Papieren nach Österreich gekommen ist. In den Medien möchten sich die Eltern von Max ihrem Anwalt zufolge dazu nicht äußern.

Notlage. Die Verzweiflung ist wechselseitig. Alemitu Aseffa hatte ihren Sohn im Glauben weggegeben, dass sie zu ihm Kontakt halten könne und ihn nach drei Jahren wiedersehe. Die Entscheidung, Max wegzugeben, fiel ihr nicht leicht. „Damals war ich ernstlich krank und am Rande des Todes“, entschuldigt sie ihr Verhalten. In ihrer Not befolgte sie den Vorschlag einer Freundin, das Kind in ein Waisenhaus zu geben. Doch ab diesem Tag hörte sie von der Organisation nichts mehr. Ganz ähnlich hört sich die Geschichte von Hannas Mutter Genet Rashid an. Als ihr Mann todkrank war, konnte sie ihre Kinder kaum mehr ernähren. Auch sie nahm Kontakt mit FFY Äthiopien auf. Ein Mann tauchte auf und sah sich die Familie an. Die Mutter war bereit, zumindest auf dem Papier über Leichen zu gehen – über ihre eigene nämlich: „Er sagte, dass für die Adoption entweder die Mutter oder der Vater des Kindes tot sein müsste … Ich habe vorgeschlagen, so zu tun, als ob ich tot wäre.“ Wenig später holte FFY die Tochter ab. „Ich bin ins Haus gegangen und habe geweint. Der Vater sagte, ich sollte sie zurückholen, wenn ich aufrichtig zu mir selbst wäre, und sagen, dass der Vater nicht zugestimmt hat. Ich war in einem Dilemma und betete, dass Gott und der Erzengel Michael mich stärken.“ Auch sie erfuhr zunächst nicht, wo ihre Tochter hingebracht wurde, und auch ihr wurde versprochen, dass Hanna nach drei Jahren zurückkehrt.

Die beiden Mütter hatten gehofft, dass es ihren Kindern besser ginge, wenn sie nicht mehr zu Hause wohnten. Auslands­adoptionen sollen nach den Leitlinien des Kinderhilfswerks Unicef erst infrage kommen, wenn keine geeigneten Betreuungsmöglichkeiten in der Heimat der Kinder gefunden werden können. Denn wenn sich in Entwicklungsländern herumspricht, dass die Kinder im Ausland die besten Chancen haben, entsteht eine gefährliche Dynamik. Verschärft wird diese Problematik, wenn den Eltern Geld für die Kinder bezahlt wird.

Genau das ist im Falle FFY offenbar passiert. Genet Rashid gibt an, dass ihr der Begleiter des äthiopischen FFY-Vertreters 300 Birr – rund 22 Euro – hinterlassen habe. Das sind etwa drei Monatslöhne für die Mutter, eine beachtliche Summe in Äthiopien. Wenn auch wenig für ein leibliches Kind. Deswegen beklagte sich die Frau bei FFY – und hatte Erfolg. Es folgten weitere monatliche Zahlungen von rund 15 Euro, bis Nesibu wegen der falschen Dokumente verhaftet wurde. Inzwischen ist er auf Kaution wieder frei.

Eine österreichische Familie musste etwa 10.000 Euro für eine derartige Adoption an FFY überweisen – nur ein kleiner Teil davon wurde für Behördengebühren ausgegeben. Genet Rashid weiß nicht, ob Nesibu für die Vermittlung der Kinder Geld bekommen hat, aber sie vermutet es: „Ich glaube, sie haben die Situation ausgenützt.“ Alemitu Aseffa, die Mutter von Max, hat nach eigenen Angaben kein Geld bekommen. Aber auch sie vermutet, dass FFY mit ihrem Sohn Geld gemacht hat: „Ich habe erfahren, dass das die Organisation war, die über meinen Sohn durch Verkauf verfügt hat.“

Guter Wille. Selbst Petra Fembek, Obfrau von FFY Österreich, will nicht kategorisch ausschließen, dass es weitere Fälle gibt: „Absolute Sicherheit gibt es in keinem Land bei keiner Adoption.“ Sie fühlt sich von ihrem äthiopischen Vertreter hintergangen. „Ich bin sehr getroffen, dass so etwas passieren konnte, obwohl sowohl wir als auch die äthio­pischen Behörden alle Dokumente mehrmals überprüft haben“, so Fembek. FFY Österreich habe mit den Adoptionen keinen Gewinn gemacht. In den Adoptionsverträgen ist festgelegt, dass etwaige Überschüsse den Waisenhäusern oder der individuellen Unterstützung von Kindern in den Herkunftsländern dienen. „Wir wollten auch Kindern vor Ort helfen, die nicht adoptiert wurden. Ich war felsenfest davon überzeugt, etwas Gutes zu tun“, sagt Fembek.

Doch manchmal reicht der gute Wille allein nicht aus. „Man kann Family for you durchaus illegale Adoptionsvermittlung durch Unterlassung vorwerfen“, sagt Eric Agstner, Anwalt der betroffenen niederösterreichischen Familie. Unterlassen habe die Organisation seiner Auffassung nach die Kontrolle ihrer eigenen Mitarbeiter. Die Staatsanwaltschaft ermittelt seit Monaten in diesem Fall, doch passiert ist bisher wenig. „Auch die Kontrolle der Jugendwohlfahrt war ein Scherz“, so Agstner. Es gebe noch nicht einmal die mindesten Anforderungen an die Papiere, bei Einbürgerungen von Erwachsenen sei Österreich weitaus pingeliger.

Die für FFY zuständige Jugendwohlfahrt der Magistratsabteilung 11 der Stadt Wien sieht sich hingegen machtlos. Man habe die gesetzlichen Vorschriften eingehalten, so deren Sprecherin Herta Staffer. „Wer soll hier die Echtheit von Dokumenten prüfen? Wir müssen uns auf die äthiopischen Behörden verlassen, welche die Schriftstücke ja mehrmals geprüft haben“, sagt Staffer. Bleibt die Frage, warum eine Behörde ihren Stempel auf Dokumente setzt, von denen sie zugibt, dass sie deren Echtheit nicht prüfen könne.

Kompetenzchaos. Die Jugendwohlfahrt ist dabei nicht die einzige Behörde, die bei Auslandsadoptionen mitmischt. Justiz- und Familienministerium sowie die Länder teilen sich die Gesetzgebung. Ein Kompetenzwirrwarr, bei dem sogar die Akteure leicht den Überblick verlieren. „Um bessere Schutzbedingungen, insbesondere im Hinblick auf die Dokumentensicherheit, zu erreichen, schlagen wir eine zentrale Auslandsadoptionsstelle vor“, sagt Josef Hiebl, Jurist bei der MA 11. Diese Stelle soll den Prüfungsprozess koordinieren. Doch dazu müssten sich erst Bund und Länder über die Zuständigkeiten einig werden. Ein eigenes Adoptionsgesetz könnte den Anforderungen gerecht werden.

Eltern von Adoptivkindern fühlen sich von den Behörden im Stich gelassen. Einige österreichische Familien haben sich bereits auf eigene Suche nach den Spuren ihrer Kinder in deren Herkunftsland gemacht. Und sind fündig geworden. So beispielsweise die Familie Klepp (profil berichtete). Für ihren Sohn Paul, der in Äthiopien geboren ist, haben sie alle Hinweise auf sein Leben vor der Adoption zusammengetragen und sämtliche Stationen selbst besucht. Von der Polizeidirektion, bei der Paul als Findelkind aufgenommen wurde, bis hin zur Kinderschwester im Waisenheim hat der Bub sämtliche Unterlagen und Fotos in seinem Album. „Unser Kind ist nicht gekauft, es ist das schönste Geschenk, das wir uns vorstellen können“, sagte seine Mutter Bärbel Klepp. Sie verwehrt sich gegen die pauschale Unterstellung, dass alle Auslandsadoptionen durch Kinderhandel zustande gekommen seien.

Auch Anwalt Eric Agstner betont, dass nicht bei allen Kindern aus Äthiopien die Papiere gefälscht sein müssen: „Bei denjenigen Kindern, die als Findelkinder aufgegriffen und zur Polizei gebracht wurden, schätze ich die Dokumentensicherheit als relativ hoch ein“, so Agstner. Etwas vorsichtiger müsse man bei so genannten „kebele-letter“ sein, die von einer Art örtlichen Verwaltung ausgestellt wurden. Diese Beamten seien offenbar leichter zu bestechen, so Agstner.

Behördenversagen. Auch wenn kein Adoptivelternpaar Angst haben muss, dass ihnen die Kinder weggenommen werden – denn das ist laut Anwalt Agstner nur auf ihren eigenen Antrag oder den Antrag eines volljährigen Adoptivkindes möglich –, bleibt doch ein schaler Nachgeschmack. Das Wissen, dass die Behörden offenbar diese Fälle nicht verhindern können, ist beunruhigend. Es ist bewundernswert, wenn Familien wie die Klepps die Dokumente ihres Sohnes akribisch und unter enormem Aufwand prüfen – doch eigentlich sollte das nicht ihre Aufgabe sein.

Es ist eine dringliche Aufgabe der Politik, diese Familien nicht im Stich zu lassen, sondern mit klaren gesetzlichen Regelungen Auslandsadoption auf neue Beine zu stellen. Denn für viele Ehepaare ist die Auslands­adoption die einzige Chance auf ein Kind, da die Warteliste für Inlandsadoptionen enorm lang ist. Sie haben zudem die Hoffnung, dass sie einem Kind aus dem Ausland Chancen geben könnten, die es anders womöglich nicht hätte. In anderen Ländern ist die Auslandsadoption längst professioneller organisiert – wie beispielsweise in Island. Dort kämpft sich nicht jede einzelne Jugendwohlfahrt durch ausländische Dokumente, sondern eine Zentralstelle bündelt das Know-how der Mitarbeiter. Wenn gesichert ist, dass Auslandsadoptionen seriös durchgeführt werden, können sie auch endlich wieder als das begriffen werden, was sie sind: eine große Chance für Kinder, Eltern und die Gesellschaft.

Von Andrea Rexer

2009 Jan 19