exposing the dark side of adoption
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Deutschland soll ein Land werden, das Kinder stärker annimmt.“(

public

Christiane Bender

„Deutschland soll ein Land werden, das Kinder stärker annimmt.“(Familienministerin U. v. d. Leyen) Bezieht sich dieser Wunsch auch auf die Adoption von Kindern aus dem Ausland?
Einer in Hamburg ansässigen Adoptionsvermittlung, die in den letzten Jahren über 1000 Kinder, vorwiegend aus Vietnam, an Eltern in Deutschland vermittelte, wurde im Sommer 2006 die Erlaubnis entzogen. Die Staatsanwaltschaft ermittelte wegen Kinderhandel und Untreue. Der Fall gibt Anlass, über die hierzulande üblichen Procedere der Adoption von Kindern aus dem Ausland nachzudenken.
Wer ein Kind adoptieren will, wendet sich zunächst an das örtliche Jugendamt. Dort erfahren die Interessenten, dass nur wenige Kinder aus Deutschland zur Vermittlung freigegeben werden. Die Gründe sind vielfältig: Die Geburtenrate sinkt. Angebote zur Unterstützung von Familien mit Schwierigkeiten, sich um ihre Kinder zu kümmern, wurden erweitert. Für Kinder, die nicht von ihren leib­lichen, noch lebenden Eltern erzogen werden können, bevorzugen die Behörden Heimerziehung oder Pflegeelternschaft. Beides sind Konzepte, die, im Unter­schied zur Adoption, „einen Weg zurück“ ermöglichen. Regelmäßige Zusam­menkünfte zwischen dem Jugendamt, den Kindern, den leiblichen und den sozi­alen Eltern halten in der Tat den Rückweg offen.
Obwohl die Zahl der Adoptionsbewerber steigt, ist die Adoptionsrate in Deutschland rückläufig. Daher nimmt das Interesse an Auslandsadoptionen deut­lich und ungebrochen zu. Bis zur Revision des Adoptionsrechts im Jahre 2002 wurden zunehmend Kinder aus dem Ausland adoptiert. Die Behörden entmutigen jedoch die meisten  Adoptionswilligen, sie ermutigen sie nicht.
Für viele Interessenten wird der Kontakt mit den Behörden zur Hürde, an der sie rasch scheitern. Die Sozialarbeiter, die die Eignungsgespräche durchführen und den für das Adoptionsverfahren erforderlichen Sozialbericht anfertigen, legen die gesetzlichen Bestimmungen des Adoptionsrechts (Alter, Familienstatus, Ein­kommensverhältnisse) oftmals sehr eng aus. Lange Verfahren schrecken zudem die Bewerber ab.
Wo liegen die Gründe für die Zurückhaltung der Behörden, die letztlich zum Zustrom der Interessenten zu den privaten Vermittlern führt? In der Vergangen­heit waren die Adoptionsverfahren durch die Arbeitsteilung zwischen dem Staat, der kontrolliert, und den Verbänden, die organisieren, gekennzeichnet. Inzwi­schen erfordern die nationalen und internationalen Übereinkünfte (u.a. die UN-Konvention über die Rechte des Kindes, die Haager Konvention zur Auslands­adoption) ein stärkeres staatliches Engagement und eine intensivierte Zusammenarbeit zwischen den Behörden des Herkunftslandes des Kindes und dem Aufnahmeland. Bislang mangelte es bei vielen mit Adoptionen befassten Sozial­arbeitern an professionellen Kompetenzen und an Erfahrungen. Seit der Umset­zung des Adoptionsvermittlungsgesetzes von 2002 hat sich die Lage verbessert, neue, fachlich qualifizierte, Zuständigkeiten sind geschaffen worden. Dennoch fehlen bei Auslandsadoptionen häufig Informationen über die Lebensverhältnisse der Kinder in den Herkunftsländern, über die dort geltenden Gesetze und über die internationalen Richtlinien.
Familienpolitisch wird zumeist eisern am Bild der klassischen, materiell abgesi­cherten „Hausfrauen-Familienernährer-Ehe“ als maßgebende Norm für geeignete Elternschaft festgehalten, obwohl die Formen des Zusammenlebens von Familien vielfältiger geworden sind. Bewerber spüren, dass sie an überkommenen Ideal­vorstellungen gemessen werden, die ihren Lebensverhältnissen nicht mehr ange­messen sind. Vorbehalte bleiben oft latent und werden selten so offen ausgespro­chen wie ich sie zu hören bekam: „Es ist besser, wenn ein Kind in seinem Her­kunftsland stirbt, als dass es einen Kulturschock im Aufnahmeland erleidet“. „Kinder mit „gelber“ Farbe kann man noch akzeptieren, aber auf keinen Fall „schwarze“ Kinder.“ „Wer bis 40 Jahre nicht an Kinder gewöhnt ist, kann nicht gute Eltern werden.“
In der Ablehnung von Auslandsadoptionen mischen sich linke wie rechte Ideolo­gien: Die Kinder in der „dritten“ Welt sollen – so die linke Position – in ihrer eigenen Kultur bleiben, ihnen sollen keine westlichen Werte und Erziehungsstile anerzogen werden. In dieser Argumentation wird die grundlegende Bedeutung des Zugangs zu gesunder Ernährung, zu medizinischer Versorgung und zu Bil­dung für die menschliche Existenz ausgeblendet. Das können aber viele arme Länder, auch wenn ihre Prognosen für die Zukunft gut sind, den derzeit lebenden Generationen von Kindern nicht bieten! Oftmals wird von Kritikern der Aus­landsadoptionen auf die Familienbindungen der Kinder vor Ort verwiesen. Bestehen solche Bindungen, dürften sie nicht zerstört werden, aber häufig sind es Armut und Unterversorgung, die die Familien und die Bedingungen für eine günstige kindliche Entwicklung behindern. Die Bekämpfung der Armut, die Verhinderung von Bürgerkriegen, die Förderung der Bildung der Frauen und der Akzeptanz von Mädchen sind unverzichtbare langfristig angelegte politische Programme, die von kollektiven nationalen und internationalen Akteuren betrie­ben werden; Adoption dagegen ist eine individuelle biographische Lösung. Beides sind verschiedene Ebenen, die nicht miteinander zu vermischen, aber auch nicht gegeneinander auszuspielen sind. Die meisten Adoptionseltern bleiben jedoch den Herkunftsländern ihrer Kinder verbunden.
Die eher rechts angesiedelte Position rekurriert zwar nicht mehr auf rassische Unterschiede und Unverträglichkeiten, sondern auf die Unterschiede der Gene, die ein Zusammenleben mit ausländischen und ausländisch aussehenden Kindern, ihrem Temperament und ihren charakterlichen Dispositionen erschwere. Eine „private Einbürgerung“ soll verhindert werden. Dagegen lässt sich nur darauf verweisen, dass auch deutsche Kinder unterschiedlichen Tempe­raments sind, dass Unterschiede eine Chance der sozialen Bereicherung bieten und dass Verhaltensnormen nicht vererbt, sondern erlernt werden. Hinzu kommt, dass jede Abweichung von der Norm der biologischen Elternschaft und das Kon­zept der sozialen Elternschaft auch aufgrund des Primats des Elternrechts gegen­über dem Kindesrecht mit größter Skepsis betrachtet werden. Viele, nicht alle Adoptivkinder sind krank. Ihnen könnte bei uns geholfen werden. Später werden sie die Renten ihrer Eltern erwirtschaften!
Die meisten Menschen, die sich für Adoption entscheiden, fühlen, was neuer­dings wieder in Sonntagsreden zu hören ist, dass Sinnerfüllung und Lebensglück aus einem gemeinsamen Leben mit Kindern erwachsen. In großer Zahl sind es Menschen, die gemäß eines hohen Verantwortungsbewusstseins einen materiel­len, risikominimierten Rahmen geschaffen haben, ehe sie versuchen, ihren Kinderwunsch zu realisieren. Das kostet in Deutschland sehr viel Zeit, bei langen Ausbildungszeiten, bei unsicheren Einstiegspositionen in die Arbeitswelt und bei steigenden beruflichen Mobilitätsanforderungen, aber auch bei längeren Such­phasen, den richtigen Partner zu finden. Der Kinderwunsch lässt sich dann oft­mals nur noch auf dem Weg der Adoption realisieren. Warum sollten sich diese Menschen von zweifelhaften Ideologien „bremsen“ lassen?
Die Zurückhaltung der Behörden, effiziente Strukturen zur Adoption von Kin­dern aus dem Ausland zu schaffen, treibt die Interessenten in die Arme von offi­ziell anerkannten oder informell tätigen Adoptionsvermittlungen, Vereinen oder privaten Agenturen, die oftmals weder professionell noch uneigennützig tätig werden. In der Vergangenheit haben die Verbände der Kirchen dieses Feld dominiert und konnten ihre familienpolitischen Ideen durchsetzen. Nun sind hier unterschiedliche Organisationen tätig, die zwar, sofern sie offiziell arbeiten, den rechtlichen Auflagen entsprechen, aber dennoch über genug Spielräume für eigene Interpretationen und Strategien verfügen. Untereinander stehen sie in Konkurrenz. Die Alteingesessenen mögen die Newcomer nicht und umgekehrt. Im Unterschied zu den Behörden haben viele dieser Organisationen ein monetä­res Interesse an der Adoptionsvermittlung, denn sie finanzieren über ihre Ein­künfte teilweise oder ausschließlich ihre Einrichtung, ihr Personal, ihre Hono­rare. Damit kommen Marktelemente ins Spiel. Zumeist haben nur zahlungskräftige Nachfrager eine Chance, ein Kind vermittelt zu bekommen. Die Bewerber zah­len, um dem Verein beizutreten, sie zahlen für die Akte, die über sie angelegt wird, sie zahlen für Gutachten, die von der Organisation über sie angefertigt werden, von den Kosten für die Durchführung der Adoption noch gar nicht zu reden. Am Ende heißt es in vielen Fällen, die Betreffenden seien noch nicht reif genug oder ein passendes Kind sei nicht vorhanden. Transparenz des Verfahrens ist selten gegeben. Enttäuschte wenden sich dann an die nächste Organisation und versuchen es aufs Neue.
Einige Adoptionsvermittlungen haben gute Beziehungen zu Abgeberstaaten, oftmals aber sind diese Kontakte äußerst labil und von bestimmten Personen auf beiden Seiten abhängig, beispielsweise von engagierten ehrenamtlichen Mitglie­dern in den Vereinen, von Direktoren der Kinderheime und Beschäftigten in den Konsulaten der jeweiligen Länder. Bei den Ansprechpartnern in den Organi­sationen handelt es sich häufig um Personen, die selbst Kinder adoptiert und auf diesem mühsamen Weg eigene Netzwerke gesponnen haben. Erfahrungen werden zusammengetragen und weitergegeben. Frauen, engagierte Adoptions­mütter und Missionarinnen in Sachen Auslandsadoption bekommen plötzlich „Goldgräberfieber“: Warum nicht aus dem informellen Dasein heraustreten, offi­ziell einen Verein gründen, staatliche Fördergelder beantragen, die eigenen Erfahrungen nutzen, andere Interessenten beraten und davon den eigenen Lebensunterhalt bestreiten? Räume werden angemietet, Rechtsanwälte, Sozialar­beiter und Psychologen eingestellt, laufende Kosten, Gehälter, Honorare und Spesen fallen an. Erfolge in der Vermittlung sprechen sich herum. Die Nachfrage nimmt zu, der Organisationsgrad wächst, die Kosten steigen, das Produkt, die Vermittlung eines Kindes, wird teurer. Zusätzliche Projekte werden initiiert, um die Nachfrage zu decken, nicht alle gelingen, Kontakte reißen wieder ab. Neue Partner vor Ort müssen gefunden werden, die den Kontakt zu den Behörden herstellen, die Übersetzungsdienste leisten, die die Wunscheltern begleiten, die für die Unterbringung der Kinder während der vorgeschriebenen Bedenkzeit sorgen – leicht kann hier der Überblick verloren gehen, mit wem man eigentlich zusammenarbeitet. Die Risiken und die tendenzielle Überforderung des Personals nehmen zu, ohne dass das Management dadurch professioneller wird. Kommt es nicht zur Vermittlung, versuchen es die Bewerber erneut, diesmal über rein kommerzielle Agenturen oder über Anwälte in entsprechenden Ländern, deren Adressen sie inzwischen erhalten haben.
Was ist zu tun? Kinder dürfen auf keinen Fall zur Ware und gehandelt werden. Die Kontrollen auf nationaler und internationaler Ebene, vor allem für Länder, in denen die Behörden nicht zuverlässig arbeiten, können nicht scharf genug sein. Organisationen wie der Internationale Sozialdienst müssten sehr viel unterstüt­zender und effizienter tätig werden und eine klare Alternative für Adoptionswil­lige zu intransparent agierenden Vereinen und Agenturen darstellen. Die Jugend­ämter sollten Adoptionswillige ermutigen und nicht entmutigen. Wenn sie selbst nicht daran glauben, dass Deutschland mit Kindern, die im Ausland geboren wurden, zu einem reicheren Land wird, können sie eine solche Haltung auch schwer vermitteln. Optimismus benötigen die Eltern jedoch für das Auffangen der Probleme, mit denen Kinder anderer Hautfarbe noch immer in Deutschland konfrontiert werden, auch der Identitätskrisen, die Adoptivkinder, wie  alle Jugendliche, möglicherweise aber komplizierter, durchleben. So sollten Gesprä­che mit potenziellen Eltern auch zur Sensibilisierung für die Belange älterer und kranker Kinder geführt und dabei klargestellt werden, dass Adoption nicht der Weg zum Erwerb eines Bilderbuchkinds ist.

2008 Jul 8