„Bitte sucht mir Eltern!“
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„Bitte sucht mir Eltern!“
Tausende Kinder warten weltweit in Heimen auf eine Familie. Doch die Auslandsadoption leidet unter einem Image-Problem
Von FOCUS-Redakteurin Simone Kunz
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Die Schauspielerinnen Penelope Cruz, Cameron Diaz, Jessica Simpson und der Latino-Sänger Ricky Martin wollen dem Vorbild von Stone, Nicole Kidman oder Angelina Jolie folgen. Bruce Willis warb mit Präsident George W. Bush im Weißen Haus dafür, noch mehr Kinder aus Waisenhäusern zu holen. Adoptionen gelten zwischen Hollywood und New York als akzeptierter Weg zum Wunschkind.
In Deutschland sind 1,6 Millionen Paare ungewollt kinderlos. Es ist jedoch nahezu unmöglich, Nachwuchs aus dem Inland zu adoptieren. Jedem Kind stehen rechnerisch elf interessierte Adoptivelternpaare gegenüber. Bewerber über 35 Jahren haben ganz besonders geringe Chancen. Die einzige Alternative für Paare mit sehnlichem Kinderwunsch: eine Adoption im Ausland. Doch der Baby-Import galt lange Zeit als legalisierter Kinderhandel und leidet unter einem chronisch schlechten Image. Mitunter wecken die Adoptionsvermittlungen auch das Interesse von Staatsanwaltschaften. Wolfgang Ehlers, der leitende Oberstaatsanwalt in Hamburg, bestätigt laufende Ermittlungen gegen eine Agentur wegen des Verdachts auf Adoptionsvermittlung ohne Zulassung. Ehlers räumt aber ein: „Es besteht lediglich der Verdacht, mehr nicht.“
Der chronische Kinderhandel-Vorwurf nervt die zweifache Adoptivmama Sylvia Torre Flores aus Stuttgart: „Bei uns glaubt man, dass die Kinder entweder illegal vermittelt, von armen Müttern weggekauft werden. Oder dass man so einen kleinen Problembürger bekommt, mit dem man sein Leben lang nicht mehr froh wird.“
Das Bild wandelte sich, als Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder vor zwei Jahren Viktoria aus St. Petersburg zur Tochter nahm. Auch Felix Magath, 52, Chef-Trainer des FC Bayern, will ein Adoptivkind in seine Familie aufnehmen. Er hat bereits sechs Töchter und Söhne aus zwei Ehen. Seine Frau und er „wollen einem Kind, das nicht so gute Chancen hat, neue Möglichkeiten geben“.
Der durchschnittliche deutsche Adoptionsbewerber fragt sich bei dieser Willensbekundung, ob der Bayern-Trainer auch Sonderkonditionen erhalten wird. So wie Ex-Kanzler Schröder, der als 60-Jähriger ein dreijähriges Kind adoptieren durfte. Normalerweise soll nach Empfehlung der Landesjugendämter der Altersabstand zwischen Eltern und Kindern nicht mehr als 40 Jahre betragen. Die Kleinen sollten schließlich Eltern und nicht Großeltern bekommen.
Kleine weiße Mädchen. Bei einem der obligatorischen Seminare für Adoptionsbewerber beschreibt Eva Hofer, Gründerin der Hamburger Vermittlungsagentur ICCO, den Standardwunsch ihrer Kundschaft. „Die meisten Bewerber wollen ein weißes weibliches Baby.“ Diese Vorstellung sollten sich alle schnell aus dem Kopf schlagen. „Aber mindestens 70 Prozent von Ihnen werden ein Kind bekommen“, verspricht Hofer. Das restliche Drittel nimmt entweder von einer Adoption wieder Abstand oder bekommt doch noch ein leibliches Kind. Nur wenige werden tatsächlich abgelehnt, angeblich scheitern nur ein bis zwei Prozent. 2005 wurden 1184 ausländische Adoptivkinder nach Deutschland vermittelt. Es könnten im kinderarmen Deutschland viel mehr sein. Denn global gibt es mehr Kinder in Not als Bewerber. Der Leiter eines Kinderheims bei Nischnij Nowgorod bat in einem Telefonat mit Focus fast flehentlich: „Kommen Sie! Es gibt viele Kinder hier. Gute Kinder.“ Mitarbeiter der Vermittlungsorganisationen berichten, dass sie von den Kindern in den Heimen oft angesprochen werden: „Bitte sucht mir Eltern!“
Am einfachsten ist die Adoption über eine in Deutschland zugelassene Vermittlungszentrale. Diese prüft die Bewerber, hilft bei der Erstellung der notwendigen Papiere und gibt Rückendeckung im Bürokratiedschungel im Ausland. Um dem Kind möglichst große Sicherheit und ein liebevolles Elternhaus gewähren zu können, müssen Bewerber gewisse Kriterien erfüllen: persönliche und gesundheitliche Eignung zur Erziehung, sichere Einkünfte, ausreichender Wohnraum und ein polizeiliches Führungszeugnis ohne Eintrag.
Als „aufwändig, aber nicht unüberwindlich“, beschreibt Adoptivmama Torre Flores den Hürdenlauf, der ihnen abverlangt wurde. Sie und ihr Mann adoptierten über die Münchner Agentur AdA zwei Kinder aus Kolumbien. Innerhalb von zwei bis drei Monaten hatten sie alle Papiere gesammelt. Insgesamt muss man jedoch zwei bis drei Jahre vom ersten Vorbereitungskurs bis zum vollendeten Familienglück kalkulieren. „Alles wird immer schwieriger dargestellt, als es schließlich ist“, so Torre Flores Erfahrung. Die Kosten für die Dokumente, die Vermittlungszentrale sowie die Reise betragen je nach Land zwischen 8000 und 15000 Euro.
Es folgt ein Moral-TÜV. In Fragebögen und mehreren persönlichen Gesprächen werden die charakterliche Eignung und die interkulturelle Belastungsfähigkeit auf die Probe gestellt. Typische Frage: „Wie würden Sie reagieren, wenn das Kind als ,Kanake, ,Schlitzauge oder Ähnliches beschimpft wird?“ Man müsse auch darauf gefasst sein, so warnen die Prüfer der Agenturen, als „Negerhure“ oder „gehörnter Ehemann“ im Supermarkt angepöbelt zu werden. „Bezüglich der Hautfarbe“, macht Monika Müllers-Stein von AdA deshalb klar, „nehmen wir keine Wünsche entgegen.“
Auf Grund der Situation und Fähigkeiten der Bewerber wird ein „Kinderprofil“ erstellt. Danach wählen die Partnerbehörden im Ausland ein Kind aus. Das Prinzip lautet: Nicht für die Eltern wird das passende Kind gesucht, sondern für das Kind die passenden Eltern. Die Grundsätze, nach denen die hiesigen Vermittlungsorganisationen arbeiten, sind – typisch deutsch – strenger als in den meisten Ländern. So können sich US-Amerikaner oder Franzosen in vielen Ländern ein Kind in den Heimen selbst aussuchen. In Ländern wie Russland können sie zumindest das Geschlecht und das ungefähre Alter bestimmen. „Die Franzosen suchen sich die Mädchen aus“, so die Erfahrung der ICCO-Gründerin Hofer. „Für uns bleiben die Jungen übrig.“
Kommt es tatsächlich zu einer Vermittlung, spielen die ursprünglichen Wunschvorstellungen kaum ein Rolle mehr. „Bis einen Tag vor dem Abflug hatten wir keine Ahnung, ob wir einen Jungen oder ein Mädchen bekommen“, erinnert sich Claudia Ammon aus Stuttgart. Als sie ihre acht Wochen alte Marie Linn in Saigon dann erstmals im Arm halten durfte, haben sie und ihr Mann nur noch geweint vor Glück. „Es war Liebe auf den ersten Blick. Wir wussten sofort: Das ist unser Kind.“ Ihre einzige Angst war, dass Marie Linn im vietnamesischen Heim aus Versehen vertauscht werden könnte. Heute ist sie vier Jahre alt und „ein ganz tolles Mädchen“, schwärmt die Mutter.
Ist das Kind gesund? Die deutschen Vermittlungsstellen erfassen sehr genau, wie groß die Bereitschaft der potenziellen Eltern ist, ein Kind mit Behinderung oder Krankheiten (etwa Lippen-Kiefer-Gaumenspalten, künstlicher Darmausgang oder Herzfehler) aufzunehmen. Hier steht es allerdings einem Paar frei, die Grenze möglicher Erkrankungen oder Behinderungen selbst zu ziehen. Im Vermittlungsvertrag kann daher vereinbart werden, dass nur therapierbare Gesundheitsprobleme akzeptiert werden. Viele Kinder in ausländischen Heimen sind schlecht ernährt, sie haben durch ein möglicherweise erlittenes Trauma Verhaltensstörungen oder Entwicklungsdefizite, die nicht immer aus dem Gesundheitszeugnis des Kindes ablesbar sind. Eddi aus Haiti etwa wurde von seinen Eltern adoptiert, als er vier Jahre alt war. Er wog neun Kilogramm und war nur 89 Zentimeter klein. Ohne Adoption wäre er mit Sicherheit an Unterernährung gestorben. Eddi erholte sich erstaunlich rasch und konnte zeitgerecht eingeschult werden. Heute ist er der beste Fußballer in einem norddeutschen Dorf.
Kleinere Startschwierigkeiten gut überwunden haben auch die russischen Drillinge von Frauke und Werner Ilg-Möllers. Als sechsjähriges Trio kamen sie nach Deutschland. Alexander lernt jetzt an der Fachoberschule für Ernährung und Hauswirtschaft und will Hotelmanager werden. Jelena wird Sport- und Gymnastiklehrerin. Anna lernt an der Fachoberschule Land- und Gartenbau. „Die Kinder“, erzählt die Mama, „wissen durch viele Besuche in ihrem Heim in Kaliningrad, dass es für jedes Kind das große Los ist, nach Deutschland zu kommen.“ Anfängliche Probleme, weiß Ilg-Möllers, gleichen sie durch eine starke Motivation aus. „Sie sind sich der Situation bewusst und nutzen die Chance.“
Keine Geheimnisse. Heute ist es zumindest in Deutschland nicht mehr üblich, eine Adoption zu verschweigen. Um einem späteren Vertrauensbruch und Identitätskrisen vorzubeugen, predigen die Vermittlungsagenturen in den Adoptionsseminaren, erfahren die Kinder von Anfang an ihre wahre Geschichte. Den Eltern wird deshalb empfohlen, so früh wie möglich ein Fotoalbum anzulegen und darin bereits das Adoptionsverfahren zu dokumentieren. Das können der Aktenberg für die Bewerbung sein oder die Abreise der Eltern ins Land der Kinder. Besonders die Fotos vom Kinderheim sehen sich die Kinder später immer wieder an. Das ist der Ort, von dem sie kamen. Ihre Mädchen, erzählt Maria Schneider, die Mutter zweier haitianischer Schwestern, fragen oft: „Wieso waren wir nicht in deinem Bauch? Mach auf, Mama, lass uns hineinkriechen.“
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Im Ausland adoptieren
Vermittlungsstellen
www.ada.de, www.ekir.de/adoption, www.eltern-fuer-kinder.de, www.icco.de,
www.parents-child- bridge.de, www.zukunftfuerkinder.de
Ratgeber-Buch
„Auslandsadoption. Wege – Verfahren – Chancen“, TiVan-Verlag
Privatadoption
über das jeweilige Landesjugendamt. Vorteil: Eltern erhoffen sich mehr Einfluss bei der Auswahl des Kindes. Nachteil: sehr kompliziert, da sich die Bewerber im Ausland um alle Kontakte und Schritte selbst kümmern müssen (Gerichtsverfahren, Behördengänge, Übersetzungen)
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2006 May 12