Perfekte Familie leichter gemacht
Geschäfte mit dem Kinderwunsch
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162 „Schneeflocken” sind bisher zur Welt gekommen, weitere 25 Kinder sind unterwegs
27. März 2008 Zara verkleidet sich für ihr Leben gern als Prinzessin. „Und ich habe beim Backen der Kekse geholfen“, sagt die Fünfjährige stolz. Sie sitzt auf dem Schoß des Vaters und knabbert am Haferflockengebäck, das die Mutter neben den Frühlingsstrauß auf den Küchentisch gestellt hat. Mit ihren Eltern Kate und Steve Johnson und der zwei Jahre alten Schwester Tia, die Mittagschlaf hält, lebt die kleine Amerikanerin in einer schmucken Wohnsiedlung in der Nähe von Philadelphia.
Es scheint so, als sei Zara ein Kind wie Millionen andere amerikanische Kinder. Aber ihre kurze Lebensgeschichte ist anders. Sie beginnt, lange bevor Zara am 8. Juli 2002 im Krankenhaus von Reading, Pennsylvania, zur Welt kam. Theoretisch hätte sie schon vier Jahre früher geboren werden können, als Tochter kanadischer Eltern. Denn Zara gehört zu den Kindern, die durch künstliche Befruchtung erzeugt, dann aber als Embryonen eingefroren wurden. „Snowflakes“ werden sie von der kalifornischen Adoptionsagentur Nightlight Christian Adoptions genannt, weil die Embryonen empfindlich und einzigartig wie Schneeflocken seien.
Überproduktion und Vorratshaltung
Seit elf Jahren vermittelt Nightlight neben traditionellen Adoptionen auch Embryonen aus künstlichen Befruchtungen von Paaren, die selbst keine Kinder mehr haben wollen. Der zärtliche Name „Snowflakes“ ist zugleich Auflehnung gegen das kalte Kalkül beim Umgang amerikanischer Reproduktionskliniken mit Embryonen. Durch Überproduktion und Vorratshaltung, die in Deutschland durch das Embryonenschutzgesetz verboten sind, will man sich kostspielige und aufwendige Hormonstimulationen ersparen. Wie viele Embryonen beim lukrativen Geschäft mit dem Kinderwunsch auf Eis gelegt wurden, darum kümmerte man sich jahrelang nicht.
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Groß war dann das Erstaunen, als eine Umfrage der Rand Corporation 2003 ergab, dass in den 430 amerikanischen Reproduktionskliniken etwa vierhunderttausend gefrorene Embryonen lagern. Mit ungewissem Schicksal. Nur in Louisiana, dem einzigen Bundesstaat, der Embryonen als menschliche Lebewesen anerkennt, ist ihre Tötung verboten. Sonst können die Eltern damit anstellen, was sie wollen. Sie können die Embryonen für spätere Schwangerschaftsversuche aufbewahren, sie zu Forschungsobjekten erklären oder sie vernichten lassen.
Übriggebliebene Embryonen
Besorgt über diesen Wildwuchs, sann Ron Stoddart, der Direktor von Nightlight Christian Adoptions, auf Rettung der pränatalen Opfer. Mit „Snowflakes“ kreierte der vierundsechzig Jahre alte Jurist und Adoptivvater 1997 das erste Programm zur Vermittlung gefrorener Embryonen. 162 „Schneeflocken“ sind seitdem zur Welt gekommen, weitere 25 Kinder sind unterwegs. Wie viele amerikanische Familien es insgesamt gibt, deren Kinderwunsch mit Embryonen anderer Eltern erfüllt wurde, weiß man nicht. Auch bleibt vielfach im Dunkeln, wie und an wen Embryonen vermittelt werden.
Christliche Organisationen wie Nightlight vermitteln Embryonen nach denselben Prinzipien, die in den Vereinigten Staaten für Adoptionen gelten. Das Prüfverfahren und der Embryotransfer kosten mehrere tausend Dollar. Auch etliche Reproduktionskliniken bieten „übriggebliebene“ Embryonen an. Die gesetzlichen Vorschriften dafür sind minimal. Und in Internetforen, über die ebenfalls Embryonen vermittelt werden, findet überhaupt keine Kontrolle statt.
Eine phantastische Möglichkeit
Kate und Steve Johnson hatten 1999 im Radioprogramm des Evangelikalenführers James Dobson von Ron Stoddarts „Schneeflocken“ gehört. Damals warteten sie sehnsüchtig darauf, ein Kleinkind adoptieren zu können. Die Unterlagen waren längst eingereicht. Doch weiter passierte nichts. „Und dann hörten wir von dieser phantastischen Möglichkeit, einen Embryo zu adoptieren“, sagt Kate Johnson. Nicht nur der Traum vom Kind, auch der Wunsch, schwanger zu werden, schien plötzlich realisierbar.
Vorsichtig ihre Worte wägend, erzählt die fünfzig Jahre alte Logopädin, die mit ihren schulterlangen Haaren, in Jeans und Pulli deutlich jünger wirkt, dass sie den Gedanken an eine Schwangerschaft bald nach der Heirat begraben hatte. Denn ihr Mann Steve ist querschnittsgelähmt. „Ich bin mit dem Rad gestürzt, schon bevor wir uns kennenlernten“, sagt der siebenundvierzig Jahre alte Anlageberater, während er seinen Rollstuhl mit kraftvollem Schwung an den Küchentisch lenkt. Die Chancen, Nachwuchs zu bekommen, stünden nicht gut, attestierten die Ärzte Kate und Steve Johnson. Doch beide betrachteten die Gründung einer Familie und das Aufziehen von Kindern als christliche Pflicht. Die Johnsons leben im Vertrauen auf Gott und die Bibel, ohne darüber viele Worte zu verlieren.
Der dritte Anlauf war erfolgreich
Die ersten sechs Embyronen, die ihnen „Snowflakes“ vermittelte, kamen von einer Mutter, die im Begriff war, sich scheiden zu lassen. Doch keines der Embryonen überlebte den Prozess des Auftauens. Die niederschmetternde Nachricht erreichte die Johnsons erst, als sie zum Embryotransfer in der Klinik erschienen. Auch der zweite Versuch scheiterte, weil die Spendereltern genetische Informationen verheimlicht hatten. Der dritte Anlauf endlich war erfolgreich. Kate Johnson wurde mit dem Embryo eines Feuerwehrmanns und einer Fitnesstrainerin aus Kanada schwanger. Das kanadische Paar hatte die Johnsons aufgrund gemeinsamer christlicher Wertvorstellungen zu potentiellen Eltern ihrer fünf Embryonen erkoren. Doch das Konzept der „offenen Adoption“, das zu den Bedingungen von Nightlight gehört, machte den Johnsons mehr zu schaffen, als sie anfangs vermutet hatten.
Als Kate im sechsten Monat schwanger war, rückte das kanadische Paar mit seinen zwei Kindern in Begleitung eines Fotografen und eines Journalisten in Reading an. Es sei völlig in Ordnung, dass die genetischen Eltern sich vergewissern wollten, wie ihr Abkömmling aufwachsen werde, versuchten sich die künftigen Eltern zu beruhigen. „Aber in den schlimmsten Momenten dachte Kate, die wollen uns ausspionieren und werden uns womöglich das Baby wegnehmen“, sagt ihr Mann, der manches Mal für seine Frau spricht, wenn es emotional heikel wird. Eine Woche nach dem Besuch der kanadischen Familie erlitt Kate Johnson eine Schwangerschaftsvergiftung. Durch Notkaiserschnitt musste sie von Zara entbunden werden, neun Wochen vor dem berechneten Geburtstermin und neun Tage bevor sie fünfundvierzig Jahre alt wurde. Dennoch versuchte sie im Jahr darauf, mit den zwei noch verbliebenen Embryonen des kanadischen Paares schwanger zu werden. Vergeblich.
Du bist eine Schneeflocke
Zara weiß nicht, welche Bewandtnis es mit der kanadischen Familie hat, deren Gesichter sie von den Bildern im Fotoalbum kennt. Noch gibt sie sich mit der vagen Auskunft ihrer Eltern zufrieden, dass sie eine „Schneeflocke“ und jemand ganz Besonderes sei. Irgendwann soll Zara ihre genetischen Eltern und Geschwister kennenlernen. Doch wie die komplizierte Wahrheit in Worte fassen? Steve Johnson findet, man solle nicht um den heißen Brei herumreden und Zara erzählen, dass sie in Kanada noch einen Bruder und eine Schwester habe. Doch seine Frau befürchtet, das wäre zu verwirrend. Zaras Schwester sei Tia, die die Johnsons zunächst als Pflegebaby aufnahmen und vergangenes Jahr adoptierten.
Als „Snowflakes“-Familie gerieten die Johnsons unversehens auch in den Strudel gesellschaftspolitischer Auseinandersetzungen. Schon der Begriff der Embryonen-Adoption, den die christlichen Vermittlungsagenturen verwenden, wird von der Pro-Choice-Bewegung und von Befürwortern der Forschung mit embryonalen Stammzellen heftig bekämpft, impliziert er doch, dass Embryonen ungeborene Kinder seien. Grimmig verfolgten jene, die Embryonen auf Zellhaufen reduzieren wollen, wie Präsident Bush 2005 im Weißen Haus die Johnsons und anderen „Snowflakes“-Familien begrüßte, um mit Kindern auf dem Arm zu demonstrieren, warum er es ablehnt, die Vernichtung von Embryonen zum Zwecke der Stammzellenforschung mit Steuergeldern zu fördern.
Vom Staat gefördert
Manche Lebensschützer sind allerdings strikt gegen Embryonen-Adoptionen, die von der Regierung Bush mit einigen Millionen Dollar gefördert werden. Wem es ernst sei mit der Würde des ungeborenen Lebens, der dürfe nicht gemeinsame Sache mit der Reproduktionsindustrie machen. „In Blogs hält man uns vor, wir hätten die Vernichtung von zehn Embryonen in Kauf genommen, um Zara auf die Welt zu bringen“, sagt Steve Johnson. „Aber die Legionen von Ungeborenen sind nun einmal da. Da ist es doch besser, einige zu retten.“
Während Lebensschützer noch darüber streiten, ob Embryonen-Adoptionen ethisch verwerflich oder geboten seien, hat die Hydra der Reproduktionsindustrie bereits neue, beängstigende Formen angenommen. So begann die Texanerin Jennalee Ryan vor zwei Jahren damit, Embryonen mit dem Samen und Eizellen ausgewählter Spender zu kreieren. „Denn wer will schon hässliche oder dumme Kinder haben“, sagte die Gründerin des Abraham Center of Life, das diverse Programme zur Erfüllung des Kinderwunsches anbietet, in einem Interview. Mittlerweile hat Ryan die Embryonenproduktion aus ihrem Angebot gestrichen, doch keineswegs aus ethischer Einsicht. Maßgeblich waren wirtschaftliche Überlegungen. Das Embryonen-Geschäft rechnete sich nicht.
Text: F.A.Z., 27.03.2008, Nr. 72 / Seite 46
Bildmaterial: Nightlight