exposing the dark side of adoption
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Perfekte Eltern für das Kind - und nicht umgekehrt

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Die Seite Drei      -      DAS THEMA: AUSLANDSADOPTIONEN      -      Aachener Zeitung vom Samstag, 26.11.2005
 
Perfekte Eltern für das Kind - und nicht umgekehrt
Würselener Familien fanden ihre Söhne und Töchter in rumänischen Kinderheimen. Interessenten müssen sich auf einige bürokratische Hürden einstellen.

VON UNSEREM REDAKTEUR RALPH ALLGAIER
 
AACHEN.
Plötzlich ging alles ganz schnell: Montags kam der Anruf, dienstags saßen Marika und Günther Kreutz im Auto, und donnerstags hielt das Würselener Ehepaar im rumänischen Temesvar seine künftige Tochter in den Armen: Georgiana, zwei Jahre und drei Monate alt. Ein Moment, auf den beide lange Zeit hingearbeitet hatten.

Bei Karin und Markus Schroeder verliefen die Ereignisse ähnlich: Kaum war die Nachricht bei ihnen eingegangen, machten sie sich auf den Weg in ein rumänisches Dorf namens Babadag - über Straßen, die irgendwann immer einsamer und huckeliger wurden, bis schließlich das ihnen genannte Kinderheim erreicht war. Hier holten die Schroeders ihren Sohn Dominik Vasile ab.
Mehr als 20 000 Paare und damit etwa 15 Prozent der ungewollt Kinderlosen in Deutschland bewerben sich jährlich um ein Adoptivkind. Aber nur für gut 4000 erfüllt sich der Wunsch. Aus diesem Grund ist die Zahl der ausländischen Kinder, die adoptiert wurden, in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen. Auch das Ehepaar Kreutz hatte sich beim Jugendamt zunächst nach einem deutschen Kind erkundigt, nachdem zur traurigen Gewissheit geworden war, dass es mit leiblichem Nachwuchs nichts werden würde. Doch die Auskunft fiel damals ernüchternd aus: Mit 29 und 35 Jahren seien sie schon zu alt für ihr Anliegen, hieß es. Mit Blick auf die große Nachfrage vermittelten zu dieser Zeit die deutschen Behörden Adoptivkinder nur an Personen bis 35 Jahre - nach einer Wartezeit von sieben bis zehn Jahren. Damit hatte Familie Kreutz praktisch keine Chance mehr; das Jugendamt verwies auf die Möglichkeit, ein Kind aus einem anderen Land in die persönlichen Planungen mit einzubeziehen.
Sorgen und Ängste
Nein, es ist alles andere als einfach, von einem Tag auf den anderen Mutter oder Vater eines Kindes mit problembelasteter Vorgeschichte zu werden. Das Ehepaar Kreutz hat die Anstrengungen, Sorgen und Ängste mit Geduld und Zuversicht ertragen und die Adoptionen ebenso nie bereut wie die Schroeders. Auch sie erlebten schwierige Momente im Alltag mit ihren Kindern. „Unser Sohn hatte nie eine echte Bindung erlebt, die meiste Zeit in seinem Bett verbracht, er war zwar motorisch fit, konnte aber kaum sprechen, er wusste nichts von Gefahren im Haushalt wie einem heißen Herd. Die ersten Wochen mit ihm waren sehr schwer." Heute ist all das glücklich überstanden, und Dominik Vasile hat mit seinen jetzt 10 Jahren alle Entwicklungsstörungen behoben. Wohl ist er manchmal auffallend nachdenklich. „Schon mit vier hat er darüber gegrübelt, warum er nicht bei seiner leiblichen Mutter aufwächst, ob er an der Situation eine Mitschuld trägt." Das muss er jetzt mit Hilfe eines Psychologen aufarbeiten. Beide Familien sind sich sicher, „dass diese Kinder in ihrem eigenen Land keine Chance auf ein glückliches Leben bekommen hätten". Dazu sei die Armut einfach zu groß. Heute überwiegen bei allen Beteiligten die schönen Momente. „Wenn ein Kind das erste Mal Mama sagt, wenn es tolle Entwicklungsfortschritte macht: Man bekommt so viel zurück", schwärmt Karin Schroeder.
Aufwändiges Gutachten
Dazu entschließt man sich in der Regel nicht spontan. Erst ein Jahr später wandte sich das Ehepaar Kreutz an den Internationalen Sozialdienst in Frankfurt (ISD), der zu dieser Zeit Auslandsadoptionen vermittelte. Es folgte eine längere bürokratische Prozedur, angefangen mit einem aufwändigen Elterngutachten durch das Jugendamt: Intensiv wurden dabei die sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Antragsteller überprüft, auch die Wohnung in Augenschein genommen. Danach mussten nach strengen Kriterien die Antragsunterlagen zusammengestellt werden. Diese wurden über den ISD zur Registrierung nach Rumänien übersandt. Am Ende stand dann ein konkreter Kindervorschlag: Georgiana. Doch damit waren die Probleme längst nicht zu Ende. Der Adoptionsbeschluss des rumänischen Gerichtes wurde damals noch nicht in Deutschland anerkannt. So war eine Nachadoption bei einem deutschen Gericht erforderlich, um Georgiana auch nach den hiesigen Gesetzen einem leiblichen Kind gleichzustellen. Die Nachadoption musste wiederum vom Jugendamt befürwortet werden, das sich erst nach 12 Monaten zu einer Stellungnahme in der Lage sah. In dieser Phase bestand nach deutschem Recht offiziell „nur ein Pflegeverhältnis auf Probe". Länder, die (wie auch Deutschland und Rumänien) die Haager Konvention ratifiziert haben, erkennen Adoptionsbeschlüsse anderer Vertragsstaaten mittlerweile an. Damit ist ein Teil dieses Bürokratismus überflüssig geworden. Kosten entstehen natürlich auch: Mit 15 000 bis 20 000 Euro müssen Adoptions-Interessenten kalkulieren, sagen Marika Kreutz und Karin Schroeder. Doch alle Mühen seien vergessen, wenn die ersehnte erste Begegnung mit dem Kind Wirklichkeit geworden ist, erzählt Marika Kreutz. Berührungsängste oder gar Distanz habe es nie gegeben. Oberste Maxime, das betonen beide Adoptivmütter deutlich, sei, „die perfekten Eltern für das Kind zu finden - und nicht anders herum." Wer allzu genaue Vorstellungen davon habe, wie ein Adoptivkind sein soll, wer sich ausschließlich auf ein vollkommen gesundes Kind einlassen wolle, „der wartet sehr lange auf einen Vorschlag". Georgiana und Georg, Dominik Vasile und Mariana, die Kinder, die die Familien Kreutz und Schroeder mittlerweile in Rumänien adoptiert haben, hatten ihr bisheriges Leben ausschließlich in Kinderheimen verbracht. Mit bescheidenen, zum Teil ärmlichsten Bedingungen Vorlieb nehmen müssen. In Babadag, so erzählt Karin Schroeder, hätten die Kinder im Heim fast kein Spielzeug gehabt, sich auf blankem Beton bewegt, sie seien oft nur mit „dünner Suppe, Brot und Tee" ernährt worden. „Und in den Zimmern standen 20 Betten."
In Temesvar, berichtet Marika Kreutz, war die Versorgung etwas besser, aber es gab bei weitem nicht genug Personal, um die Kinder hinreichend zu betreuen oder gar zu fördern. So brachte zum Beispiel Georgiana einige Probleme mit nach Deutschland. „Sie wog mit ihren zwei Jahren nur achteinhalb Kilo, sie konnte weder laufen noch krabbeln." Es bedurfte vielfältiger Therapien, um alle Entwicklungsrückstände aufzuholen.
2005 Nov 26