exposing the dark side of adoption
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SEXTOURISMUS - Die Kinder von Schwester Tana

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SEXTOURISMUS

Die Kinder von Schwester Tana

Die tschechischen Waisenhäuser sind voll: Verlassene Kinder von deutschen Freiern und slowakischen Prostituierten warten auf ihre Adoption
Von Christian Artope und Hubert J. Wagner
So nah, so fern: Viele der Säuglinge im Städtischen Krankenhaus von Teplice sehen ihre Mütter nie wieder – dabei stehen die nur wenige hundert Meter weiter auf der E 55.

13 Kilometer nach der deutsch-tschechischen Grenze, einen Steinwurf entfernt von Europas derzeit berühmtestem Straßenstrich, haben die Bediensteten der Klinik alle Hände voll zu tun.

Seit 24 Jahren arbeitet Schwester Tana Hadrabova auf der Geburtenstation. Sie hat jene resolute Art, die in ihrem Beruf notwendig ist, um Schreihälse zu managen.

Diese professionelle Einstellung braucht sie dringender denn je. Seit vier Jahren lassen immer mehr slowakische Roma-Frauen ihre Kinder allein im Krankenhaus zurück – wenn sie nicht schon vorher abgetrieben haben. 43 von 100 schwangeren Frauen in der Republik entscheiden sich für einen Abbruch.

„Viele Mütter kommen ohne Dokumente oder mit gefälschten Papieren zu mir“, berichtet Schwester Hadrabova. „Die einen flüchten schon eine Stunde nach der Geburt, die anderen bringen ihr Baby noch selbst in eines der Kinderheime.“

Meist sind die ausgestoßenen Neugeborenen „gezeichnet vom Alkohol- und Drogenexzeß ihrer Mütter“.

1200 Kinder in 200 tschechischen Waisenhäusern warten auf Ersatzeltern und gelten in Tschechien als die wahren Opfer der Wende. Erst nach den politischen Umwälzungen diesseits und jenseits der Grenze entstanden die vielfrequentierten Dumpingzonen für käuflichen Sex.

Zur E 55 und E 49 strömen „zu 99 Prozent Deutsche, und die kommen vor allem aus der ehemaligen DDR und Bayern mit geliehenen Protzautos angefahren“, berichten die Prostituierten. Trotz Aidsrisikos liefern die zu 60 Prozent slowakischen Roma-Frauen, was die Kunden in deutschen Bordellen auch gegen Aufpreis nicht erhalten – Verkehr ohne Kondom.

Die alleingelassenen Prostituiertenkinder, für die sich binnen 24 Monaten keine Ersatzeltern finden, bleiben bis zur Pubertät im Waisenhaus. Chefarzt Dr. Miroslav Rakos, Direktor des Waisenhauses in A- Asch ausgesprochen – verteidigt die rigorose Politik der Tschechischen Republik: „Ab dem dritten Lebensjahr sind die Kinder nicht mehr in geordnete soziale Verhältnisse einzugliedern.“

Die Chance, daß sich Ersatzeltern finden, ist gering – nicht zuletzt aufgrund der bürokratischen Hürden. Das „deutsche Restgut“, wie es ein Waisenhausmitarbeiter zynisch formulierte, kämpft außerdem mit einem Extramanko: Meist sind die Mädchen und Jungen dunkelhäutig wie ihre Roma-Mütter.

Nicht einmal halbseidene Vermittler interessieren sich deshalb für die Kinder – seit es in Rußland und im ehemaligen Ostblock von der Hautfarbe her „unverfänglichen“ Nachwuchs gibt (siehe Kasten).

Mehr Engagement zeigt der in Prag ansässige „Fund for the Children in Danger“ (FOD).

Mitbegründerin und Präsidentin Marie Vodickova berichtet stolz, daß in den vergangenen zwei Jahren 200 Kinder vermittelt wurden. Ausländische Anfragen faßt sie allerdings nur mit spitzen Fingern an. Nur bei schwedischen Interessenten macht die FOD-Präsidentin eine Ausnahme: „In der dortigen Gesellschaft sind farbige Menschen gleichberechtigt, und Toleranz ist tief verwurzelt.“

Deutschen will Frau Vodickova die Kinder keineswegs anvertrauen: „Der aufkeimende Rassismus spricht nicht für eine sichere Zukunft“, behauptet sie.

Das tschechische Sozialministerium sieht die Sache weniger dramatisch – es zählt ohnehin nur 400 Nachwuchsfälle im gesamten Land.

Laut Josefa Havlova, Referentin für Kinder- und Jugendfragen, arbeitet man außerdem bereits an einem neuen Gesetz. Künftig soll es wesentlich leichter sein, Kinder in Tschechien zu adoptieren. Allerdings „wollen wir auf keinen Fall zu einem Supermarkt für Adoptionen werden.“

Ansonsten gehen die Behörden eher naiv als wirkungsvoll vor. Ein totales Halteverbot, an der tschechischen Seite der E 55 erlassen, veranlaßt deutsche Ausflügler allenfalls dazu, vor den unzähligen Imbißbuden zu parken.

Bemüht ist auch die bayerische Sozialministerin Barbara Stamm. Sie fordert ihre Landsleute zum Gummikonsum auf. Indes: Ihre Transparente an der deutsch-tschechischen Grenze bringen die Sextouristen eher zum Straßenstrich als zur Vernunft.

In Tschechien warten 1200 Kleinkinder auf die Adoption. 60 % ihrer Mütter sind Prostituierte, die zu 99 % deutsche Freier haben

VON IHREN KINDERN ABGEWENDET

Vanessa, 18, arbeitet seit einem Jahr auf dem Straßenstrich der E 55

Gina, 26, redet aus Angst nicht über ihr Kind. Hat angeblich Mann in Deutschland

PROBLEME BEI DER ADOPTION

Vor 25 Jahren galten Adoptionen als Ausweg für Kinder in Not. Beispiel: Vietnam. Den an Seele und Körper verletzten Jungen und Mädchen war in Deutschland ein vielköpfiges Begrüßungskomitee gewiß: Am Flughafen warteten Lokaljournalisten und künftige Väter und Mütter gleichermaßen.

Auch Jahre später wurden die Babys – diesmal waren sie schwarz und aus den Hungergebieten Afrikas eingesammelt – von fremden Eltern herzlich empfangen.

Mit soviel Zuwendung und Geld können die Kinder in Teplice und Acht rechnen – die deutschen Organisationen und Institutionen befinden sich auf dem Rückzug. So erkundigten sich Paare bei der Osnabrücker Kinderhilfsorganisation Terre des Hommes (TdH) nach Kindern aus Tschechien. „Wir vermitteln“, erklärte die TdH-Mitarbeiterin Christa Dammermann, „seit 1987 nur noch in Einzelfällen. Wir helfen direkt in den betroffenen Ländern.“

Hintergrund: Vereine wie TdH wollen nicht in einem Atemzug genannt werden mit skrupellosen Vermittlern, die das Geschäft mit den Kindern entdeckten. In dieser lukrativen Marktlücke ist für die Babys tschechischer Roma freilich kein Platz: Als „vermittelbar“ gelten nur „helle“ Kinder.
Schlagwörter: Bayern DDR
www.focus.de
1995 Jan 1