exposing the dark side of adoption
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Adoptiveltern in Afrika haben nur wenig Verständnis für Madonnas Baby-Export

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Adoptiveltern in Afrika haben nur wenig Verständnis für Madonnas Baby-Export

Stefan Ehlert

NAIROBI. "Kawadscha", rufen sie im Südsudan, "Mzungu" in Kenia, "Mondele" im Kongo und "Bonjou" in der Zentralafrikanischen Republik. Und dann reißen sie die großen Augen weit auf und strecken die Hand aus. Wer als Weißer durch Afrika reist und das gesicherte Hotel verlässt, der begegnet auf Schritt und Tritt den kleinen Elendsgestalten, die oft noch kleinere Geschwister mitschleppen und weder ein Obdach noch ausreichend zu essen haben. Es wäre ihr Traum, einmal in einem Bett zu schlafen, sich satt zu essen, eine Schule von innen zu sehen. Aus ihrer Perspektive ist die Popsängerin Madonna gewiss ein rettender Engel.

Schlechte Heime

Immer noch besser, ein kleiner Junge wird von Madonna adoptiert als von Michael Jackson, sagen viele Kenianer mit bissigem Humor. Den Wirbel um den 13 Monate alten David Banda aus Malawi und seine prominente Pflegemutter verfolgen sie aufmerksam. In Kenia leben schätzungsweise zwei Millionen Waisen. Die traditionelle Großfamilie ist mit der Fürsorge längst überfordert. Staatliche Heime sind oft nicht mehr als Aufbewahrungsanstalten mit unzureichender medizinischer Versorgung. Das gilt für Kenia ebenso wie für Äthiopien oder Malawi. Ein Waisenkind wie David stirbt im Schnitt noch vor dem 18. Geburtstag und meist keines natürlichen Todes, merkte ein Kommentator der kenianischen Tageszeitung Daily Nation an. Stars wie Madonna, Angelina Jolie oder wer auch immer es sich leisten könne sollten doch möglichst viele Waisen adoptieren.

Doch abseits des Boulevards regt sich Kritik. Der meistgehörte Vorwurf ist: "Madonnas David hat doch noch einen Vater." Wie könne sie Yohane Banda das Kind wegnehmen, wenn es doch viel einfacher wäre, ihm dabei zu helfen, seinen Sohn selbst großzuziehen? "Lieber Hilfe für die Familie vor Ort statt Adoption aus einer Laune heraus", sagt die Deutsche Irene Baumgartner. Sie vermittelt jedes Jahr etwa zehn Kinder aus ihrem Kinderheim "The Nest" in Limuru an Pflege- oder Adoptiveltern. 86 Kinder betreut Baumgartner, die meisten wurden von straffälligen Müttern zurückgelassen und sollen nach der Haft der Mutter wieder in ihre Familien zurückkehren.

Doch "Mama Nest", wie sie ihre Heimleiterin nennen, beherbergt auch viele noch tragischere Fälle. Jennifer wurde von ihrer Mutter misshandelt. Arme und Hände sind vernarbt. Die Behörden nahmen den Eltern das Kind weg. Ein Junge wurde so vernachlässigt, dass ihm Parasiten die Fußsohlen wegfraßen und bis in den Darm vordrangen. Baumgartner ist überglücklich, wenn sie eines "ihrer" Kinder an gute Eltern vermitteln kann. Dennoch steht sie dem Thema Adoption sehr skeptisch gegenüber. "Wenn die Leute hier nur vorbeischauen, um sich so ein kleines Bärchen zuzulegen, dann begrüße ich das nicht", sagt sie. Vor allem Auslandsadoptionen findet sie problematisch. Am liebsten hat sie kenianische Adoptiveltern - oder Ausländer, die in Kenia leben.

Von denen gibt es viele. Eine holländische Mutter fand eines Morgens einen Säugling am Straßenrand neben der Kaffeeplantage. Obwohl sie schon vier Kinder hatte, nahm sie das Baby auf. Eine Deutsche aus Nairobi adoptierte zwei Kinder im Nachbarland Äthiopien, weil sie selbst kein Kind mehr bekommen konnte. Die Gründe für eine Adoption sind vielfältig und sehr persönlich. Allen Adoptiveltern in Afrika gemeinsam ist jedoch, dass sie täglich dem Elend der Kinder um sie herum ausgesetzt sind. "Auch diese Kinder brauchen Liebe, warum soll ich nicht wenigstens einem von ihnen das geben?", sagt die Deutsche Caroline B. (Name geändert). Doch ein Kind, das noch einen Vater hat, in ein anderes Land zu holen, das findet sie "brutal und absurd".

Die Tatsache, dass ihre leiblichen Eltern sie weggaben, ist für viele Adoptivkinder spätestens mit Einsetzen der Pubertät eine große Belastung. Ein deutsches Paar berichtet gar von der Selbstmordgefährdung ihrer Adoptivtochter. Agenturen und staatlichen Vermittlungsstellen ist dies bewusst. Äthiopien mit seinen 4 bis 5 Millionen Waisen gibt überhaupt nur Kinder zur Auslandsadoption frei, für die eindeutig dokumentiert ist, dass sie keine Verwandten mehr haben.

Auswahlverfahren für die Auslandsadoption dauern oft Jahre, die Kinder wachsen darüber heran. Caroline B. aber musste nur von Nairobi nach Addis Abeba fliegen. Um die Dokumente kümmerte sie sich selbst, sie sprach beim High Court vor und hatte in wenigen Wochen den damals schwer kranken, vier Monate alten Ben bei sich. "Er wäre dort gestorben", sagt sie. Jedes Jahr feiert Ben zwei Mal Geburtstag. Den Tag seiner Geburt und den Tag seiner Ankunft in Nairobi.

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Aus dem Ausland

In Deutschland wurden im vergangenen Jahr etwa 4 800 Kinder adoptiert, mehr als die Hälfte von Verwandten. 900 Kinder wurden aus anderen Ländern adoptiert.

Das Haager Übereinkommen über den Schutz von Kindern schreibt Richtlinien für Auslandsadoptionen fest. Dementsprechend prüft eine Bundeszentralstelle Vermittlungs-Agenturen. Etwa 300 der deutschen Auslandsadoptionen kamen 2005 ohne diese Stellen zustande.

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Foto: David Banda aus Malawi mit Madonna und deren Kindern Lourdes und Rocco

2006 Oct 27